Homo heidelbergensis
Die Vorfahren der Neandertaler scheinen noch keine besondere Beziehung zu ihren Toten gehabt zu haben. Wir wissen nichts von Beerdigungsritualen; die Leichen wurden meist in Höhlen oder Flachgräbern deponiert.
Die Neandertaler
Die Neandertaler hatten bereits mehr Respekt vor Verstorbenen, denn Ausgrabungen lassen auf erste Bestattungsrituale schliessen. Höhlen und Gruben dienten als letzte Ruhestätten. Den Toten wurde auf ihre letzte Reise vor allem Gebrauchsgegenstände, Waffen und Speisen mitgegeben. Die Verstorbenen setzte man häufig gefesselt und in embryonaler Stellung bei. In Neandertalergräbern wurden oft auch Bärenknochen gefunden. Die Idee war möglicherweise,
die wiederauflebende Kraft der Höhlenbären nach dem Winterschlaf auf die Verstorbenen zu übertragen.
Der Cro-Magnon-Mensch
Der Cro-Magnon-Mensch besass bereits ausgeklügeltere Werkzeuge als der Neandertaler. Aus dieser Zeit stammen die ersten Zeugnisse über ritualisierte Beisetzungspraktiken. Grabbeigaben und Höhlenmalereien lassen darauf schliessen, dass der Cro-Magnon-Mensch in Gruppen zusammenlebte und verschiedene Ebenen im gesellschaftlichen Status kannte. Vermutlich gab es bei ihnen bereits Schamanen und Priester, die für gesellschaftliche Abschiedsriten
zuständig waren.
Die Ägypter
Im Leben der Ägypter spielte der Tod eine zentrale Rolle. Im Laufe der Zeit entwickelten sie immer komplexere Bestattungsrituale. Die Vorbereitung auf den Tod und auf das Leben danach wurde geradezu zu einerObsession. Um ein glückliches Weiterleben im Jenseits zu garantieren, mussten die Totenfeiern nach strengen Ritualen durchgeführt werden. Diese speziellen Riten und Prozeduren waren im Totenbuch, dem frühesten heiligen Text der Welt, genauestens beschrieben. Das Totenbuch war eine Sammlung magischer Texte, Zaubersprüche und Beschwörungen, mit deren Hilfe das Wohlergehen der Verstorbenen im Jenseits gewährleistet werden sollte. Seit etwa 3000 v. Chr. praktizierten die Ägypter die Mumifizierung, die erst aufgegeben wurde, als Ägypten im Jahr 641 n. Chr. zum Islam konvertierte. Die Idee vom letzten Gericht war für die alten Ägypter von zentraler Bedeutung. Sie glaubten, dass die Verstorbenen auch im Jenseits Gegenstände aus ihrem irdischen Leben benötigen würden und gaben ihnen deshalb all das mit, was für sie im Diesseits nützlich gewesen war. Ihre Pyramiden sind die grössten Grabstätten der Welt.
Die Griechen
Die Griechen glaubten, dass die Götter die Seele eines Menschen nach seinem Tod bewerten («wiegen») würden. Sie gaben ihren Toten Nahrung, Wein und Kleidung mit. Die Griechen fürchteten den Tod und dessen Qualen, waren aber fasziniert vom festen Glauben an die Unsterblichkeit der Seele. Nicht eingehaltene Bestattungsvorschriften oder ungenügende Opfergaben
würden zur Marter im «freudlosen Reich», dem sogenannten Hades, führen. Bis ca. 1000 v. Chr. wurden die Verstorbenen der Erde beigesetzt, dann aber wurde die
Kremation zur allgemeinen Praxis. Nicht zuletzt beim Anfall vieler Toten in Kriegen erwies sich die Feuerbestattung als hilfreich. Die Aschenreste der Gefallenen wurden dann in Urnen den Hinterbliebenen ausgehändigt. Dies war eine pietätvolle Art des Abschiednehmens, insbesondere dann, wenn der Tod an einem
fernen Ort eingetreten war. Mit der Einäscherung wurde es so auch möglich, Staatsbegräbnisse für hohe Würdenträger selbst Wochen oder Monate nach ihrem Tod zu veranstalten. Während die «gewöhnlichen» Griechen meist weiterhin beerdigt wurden, entwickelte sich die Feuerbestattung schon bald zur
bevorzugten Methode für die Elite.
Die Römer
Wie bei den Griechen wurden auch die gewöhnlichen römischen
Bürger meistens beerdigt, während die römische Elite die Einäscherung
bevorzugte. Wohlhabende Familien kauften kunstvolle Urnen und mieteten Stellplätze in besonderen Gruften, den sogenannten Kolumbarien. Sie kauften ausserdem juwelenbesetzte Tränenkrüge, um die Tränen professioneller Trauernder (Klageweiber) aufzufangen und aufzubewahren. Schon bald entwickelte sich rund um den protzigen Bestattungsaufwand, den die Römer betrieben, eine ganze Industrie, die auch die ersten professionellen Bestatter hervorbrachte. Ab etwa 100 n. Chr. nahm die Praxis der Einäscherung aus zwei Gründen allmählich wieder ab. Erstens war das Christentum auf dem Vormarsch und die frühe Kirche missbilligte die Einäscherung. Zweitens war Holz infolge des zivilisatorischen Fortschritts knapp geworden. Die Römer brauchten diese kostbar gewordene Ressource jetzt vor
allem für den Schiffbau und die Errichtung von Festungen.
Frühes Mittelalter
Den Menschen im Mittelalter war der Tod eine alltägliche
Erfahrung. Er wurde klaglos angenommen und als Teil des Lebens verstanden.
Übertriebene Gefühle von Angst und Trauer wurden als unangemessen betrachtet.
Diese schicksalsergebene Haltung erklärt sich daraus, dass der Tod den meisten
Menschen eher als Erlösung von einem entbehrungsreichen Leben denn als
Bestrafung erschien, und der katholische Glaube an die Auferstehung degradierte
den Tod zu einer Durchgangsstation. Man starb in dieser Zeit meist früh und
hatte stets den Tod vor Augen. Da die Gemeinschaft wichtiger war als der
Einzelne, wurde um den Verlust eines Mitglieds nicht allzu sehr getrauert. Die
Beerdigungen fanden in einem schlichten Rahmen und bis ca. ins 7. Jahrhundert
ausserhalb der Siedlungen statt. Ein Motiv hierfür war nicht zuletzt der
Glaube, dass die Toten zurückkehren und die Lebenden bedrängen könnten. Etwa ab
dieser Zeit entwickelte sich klösterliches Leben und damit auch ein Kult um
eine Vielzahl von Märtyrern. Grosse Pilgerscharen suchten deren Grabstätten auf
und viele Menschen wünschten, unbedingt in ihrer Nähe begraben zu werden. Als
Folge davon wurden immer mehr Kapellen und später auch Kirchen neben diesen
Grabstätten erbaut. Daraus ergab sich die Praxis, die Verstorbenen auf
Kirchhöfen statt auf freiem Feld zu begraben. Ein anderer Platz für sterbliche
Überreste waren die Ossuarien (Beinhäuser). An diesen öffentlichen Stätten
wurden oft die Gebeine von Armen und Unbekannten aufgehoben – hier kam man
zusammen, um Geschäfte abzuwickeln, zu tanzen oder zu spielen. Dieses Verhalten
widerspiegelt auch die damalige Ansicht, dass der Tod ein kollektives Schicksal
sei, vor dem man sich nicht allzu sehr zu fürchten brauchte.
Spätes Mittelalter und Renaissance
Um das 12. Jahrhundert änderte sich die frühmittelalterliche
Einstellung zum Tod. Durch den wieder möglich gewordenen Zugang zu den Werken
griechischer und römischer Philosophen (Abschriften in Klöstern) und die
Entdeckung neuer Kontinente und Kulturen veränderte sich die Weltsicht und das Selbstbewusstsein
der Gesellschaft. Man war je länger desto weniger bereit, den Versprechungen
der Kirche in Bezug auf eine Wiederauferstehung Glauben zu schenken. Gleichzeitig
entwickelte sich die Vorstellung, dass eine göttliche Instanz jedem Einzelnen
eine Lebensbilanz erstellen würde. Damit war der Gedanke an den Tod nicht mehr
von einem Gefühl des Friedens, sondern von der Angst vor dem Jüngsten Gericht
begleitet. Dieser Glaubenswandel wurde zusätzlich durch das Auftreten
verschiedenster Seuchen, insbesondere der Pest, noch beschleunigt. Plötzlich
schien der Tod überall aufzutreten, und gerade weil viele Meinungen der
kirchlichen Lehre dem Zeitenwandel nicht mehr standhielten, wuchs die Angst um
das Seelenheil und die Furcht vor dem Jüngsten Gericht. Damit wurde der Tod zu
einem Thema, das die Menschen durch ihr ganzes Leben begleitete. Die damals revolutionäre
Vorstellung eines freien Willens brachte als Folge die Selbstverantwortung der
Menschen für ihr Leben. Mit korrektem Verhalten, dem Ablegen persönlicher
Zeugnisse und dem gerechten Vermächtnis von Eigentum sah man Mittel und Wege,
sich sein Seelenheil zu sichern. In den langen Jahren der Pest war der Tod mehr
denn je von Ängsten und Tabus umgeben. Ab dieser Zeit wurden die Leichen in
Tücher gewickelt, um sie vor den Augen der Lebenden zu verbergen. Der Brauch
der Römer, die Toten in irgendeiner Form für die Nachwelt darzustellen, kam
wieder auf. Grabsteinplatten, Inschriften, Totenmasken und Skulpturen veranschaulichten
deren Leben.
Das Industriezeitalter
Etwa um 1700 erweiterte sich der Blickwinkel vom eigenen Tod
auf den Tod anderer. Zwischenmenschliche Beziehungen in ihrer intimsten Form (Liebende,
Eltern –
Kinder, Ehemänner – Ehefrauen, Freunde usw.) wurden immer
wichtiger und ein anerkannter Teil des Lebens. Der Tod, der die Auflösung
leidenschaftlicher Bindungen mit sich brachte, wurde noch unerträglicher als je
empfunden, gleichzeitig aber auch als romantisch und gar erotisch. Immer mehr
Menschen hofften, dass es für die Familie die Chance gab, im Himmel
wiedervereint zu sein. Indem man sich auf das Schicksal der anderen
konzentrierte, gelang es, mit der erschreckenden Möglichkeit ewiger persönlicher
Verdammnis fertig zu werden. Diese Vorstellung führte schliesslich zu Ideen wie
der von einem «schönen Tod», zu Gedenkkult und zu übertriebenen Trauerritualen.
Der Tod wurde nur noch als Vorspiel für die Wiedervereinigung mit verstorbenen
Familienangehörigen im Himmel betrachtet. Die Romantiker des 18. und frühen 19.
Jahrhunderts verglichen den Tod mit der Metamorphose der Raupe zum
Schmetterling. Kunstvolle Trauerzeremonien und Gedenksteine halfen den
Hinterbliebenen, den Schmerz ihres Verlusts zu lindern. Die Toten wurden mit
reichverzierten Grabmälern, Statuen und Monumenten geehrt. Die Friedhöfe wurden
in riesige, einladende Parks umgestaltet, wo jedermann Ruhe finden konnte. Zu
dieser Zeit starben die meisten Menschen noch zuhause und die Totenwache an dem
im Sterbezimmer aufgestellten Sarg war feste Tradition. Im viktorianischen
Zeitalter kam auch die Verwendung von speziellem, schwarz umrandetem
Trauerbriefpapier in Gebrauch, und die Modeindustrie entwarf eigens
dunkelfarbige Trauerkleidung. Äusserst beliebt waren auch Ohrringe, Broschen
und Armbänder, die Haare der Verstorbenen enthielten. Langsam begann sich eine
modernere Einstellung zum Tod zu entwickeln. Aufgrund medizinischer
Fortschritte lebten die Menschen länger. Dies bedeutete jedoch auch, dass
Krankheiten immer länger dauerten. Die zunehmend wachsende Furcht vor langem
Siechtum war weitverbreitet und die Forderungen nach einer persönlichen
Intimsphäre wurden lauter. Offen gezeigte Trauer oder auch nur Gespräche über
den Tod waren verpönt.
Gegenwart
Noch vor 100 Jahren starben die meisten Menschen zuhause.
Heute stirbt man mehrheitlich im Krankenhaus – und der Tod ist für uns fast
unsichtbar geworden. Fortschritte in der Medizin helfen, schlimmste Qualen von
Krankheiten und Verletzungen zu lindern. Aus wissenschaftlicher Sicht stellt
sich der Tod bloss noch als ein biologischer Übergang dar, den es möglichst
schmerzlos zu gestalten gilt. Der Umstand, dass das Ableben im Umfeld moderner
Technologie kaschiert wird, ändert jedoch nichts daran, dass die Furcht vor dem
Ende gross bleibt. Nun, da sich der Sterbevorgang als Folge des medizinischen
Fortschritts weitgehend schmerzfrei gestaltet, fürchten viele die unpersönliche
klinische Umgebung, in der sie alleingelassen in einem Krankenhaus die Welt
verlassen müssen. Selbst die Religion bietet immer weniger Menschen Trost. Mit
den wegfallenden Ritualen, auf die man sich früher stützte, geht auch immer
mehr das Wissen um die Tragkraft gemeinsamen Abschiednehmens verloren.
Beisetzungen sind heutzutage meist kurze und diskrete Veranstaltungen, die eher
von Fachkräften als von den Angehörigen abgewickelt werden. Da die meisten
Menschen heute den Umgang mit dem Tod nicht mehr gewohnt sind, heisst es oft:
«Ich weiss nicht, was ich sagen soll – ich weiss nicht, was ich tun soll.» In
unserer modernen Gesellschaft scheint der Tod etwas Anstössiges geworden zu
sein, und unsere Sterblichkeit wird häufig mit einer Mauer des Schweigens
umgeben.
Urnen
Seit dem Altertum wurde die Asche Verstorbener oft in Urnen
gefüllt, die in Kolumbarien aufbewahrt wurden. Die Assyrer verwendeten für die
Verwahrung der Asche Urnen, die Etrusker überdimensionale Gefässe, die auf
einen Sockel gestellt wurden. Die Griechen bezeichneten ihre Urnen als Krater;
einige dieser mit kunstvollen Malereien verzierten Gefässe gehören zu den
eindrucksvollsten Kunstwerken ihrer Zeit. Sie dokumentieren die Einstellung der
Griechen zum Leben und zum Tod. Bei den Buddhisten stehen die Urnen auf
Hausaltären, im Haus oder im Garten. Auch bei uns gehen immer mehr Menschen
dazu über, die Asche eines verstorbenen Familienangehörigen bei sich zuhause
aufzubewahren, im Aussenbereich zu platzieren oder an einem schon vom
Verstorbenen ausgewählten Ort in alle Winde zu streuen und die leere Urne als Objekt
des Andenkens zu behalten.
Kolumbarien
Ein Kolumbarium kann ein schlichtes oder auch
kunstvoll gestaltetes Gebäude sein, das sich für die Unterbringung der
sterblichen Überreste eignet. So sind Kolumbarien schon in römischen und heute
in italienischen, griechischen und vielen anderen Katakomben zu finden. In
Mexiko und Nicaragua wurden unterirdische Kolumbarien entdeckt, in denen Aschenreste
in Kammern aufbewahrt wurden. Moderne Kolumbarien können teilweise tausende von
Urnen fassen, die entsprechend beschriftet, in Nischen eingelassen sind. Ein
1887 erbautes französisches Kolumbarium weist 25'000 Nischen auf, von denen
heute etwa 16'000 belegt sind. Ein 1898 in San Francisco erbautes Kolumbarium
wurde restauriert und ist heute zu einer Touristenattraktion geworden.
Inzwischen finden dort sogar Trauungen statt.